Philipp Loewenfeld Recht und PolitikDer Erfolg des Krieges 1870/71 hatte in Deutschland eine Rüstungsindustrie stark werden lassen, die bis heute in allen internationalen Auswirkungen von Angriff, Flucht und Übergriff ihre Finger im Spiel hat.

In der Zeit des ‚Europäischen Krieges‘ (Franz Marc) hatten Adel und Militaristen die Interessen der Aufrüstung in die Monarchie getragen, ihr mögliche Gebiets-Erweiterungen ins Ohr geblasen. Die Geschäfte liefen … Millionen der jungen Männer wurden zu Helden, oder geopfert, „fielen“, starben, wurden verletzt, verreckten auf dem „Feld der Ehre“.

Arbeits-und Lebens-Situationen

Was zählte, war das reiche Bürgertum, der Adel und was sich in seine Höhe bewegen konnte, gekrönt von Königshaus und Kirchen-Hierarchie, von ‚Gottes Gnaden‘: Gott an der Spitze einer Pyramide, wie sie jeder Altar in den Kirchen wieder zeigt: Oben rein männlich, Vater, Sohn, Heiliger Geist, und unten drunter die Fürbitterin und Gottesgebärerin Maria, eine katholische Replik der matriarchalen keltischen Erdmutter, zur Versöhnung der entrechteten Frauen.

Unten gab es auch: Das Gesinde, dem die Bauern den Herren gaben: Mägde und Knechte, die für’s Essen und die Kleidung arbeiteten, gepflegt und fast rechtlos wie das Vieh, bis auf wenige Stunden am Sonntag und an Feiertagen rund um die Uhr an der Arbeit.

„Ausstehen“ konnten auch die Dienstboten, die es im städtischen Raum auch als Köchin oder Wäscherin, Chauffeur oder Sekretär, Kindermädchen, Küchenhilfe etc. geben konnte, immer nur zu „Mariae Lichtmeß“, am 2. Februar, und ihr Dienstbücherl bekommen, vielleicht sogar einen Lohn, wenn einer vereinbart war.

Sonst war es nicht leicht, eine ordentliche Anstellung zu bekommen, das Jahr über, oder gar schwanger … wie es in manchen anderen Ländern zB Südamerikas auch bis heute ist, wie die „Marias“ erzählen: Weil sie noch nicht mal bei ihrem Namen, sondern einfach immer „Maria“ gerufen werden, oft bald wieder wegen Schwangerschaft (vom Herrn oder seinen Söhnen) ausgetauscht.

Armut und Hunger

Keine Anstellung zu haben, hieß hungern, und viele Saison-Arbeiter wanderten deswegen vom Bayrischen Wald bis zum Bodensee, als Tagelöhner in der Heu- oder Hopfen-Ernte, im Herbst und Winter wieder zurück zum Holz fällen.

Nur wenige, vor allem Männer, lebten dauerhaft auf der Straße, in den Wäldern, hatten als Vagabunden oder „Kunden“ ihre Anlaufpunkte an Klöstern und bei armen Leuten, die bereit waren, ihnen für die neuen Nachrichten aus der Welt ihr bescheidenes Obdach zu gewähren.

Armut und Hunger verbreiteten sich in der Kriegszeit

In der Hoffnung, den Kriegszug von 1870 genau so schnell zu wiederholen („Weihnachten seid ihr wieder zu Hause!“) hatten Militär und Regierungen nicht einmal genügend Vorräte angelegt, alles „in die Etappe geworfen“ und die Pferde, der Hafer und das Heu fehlten wie die Arbeiter, Knechte und Männer auf den Bauernhöfen, in den Städten.

Einige Anarchisten und Pazifisten aus der Wandervogel-Bewegung, die durch ihren intensiven, auch gesamt-europäischen Austausch besser informiert waren, sind schon vor der zu erwarteten Einberufung nach Amerika ausgewandert, wurden dort als „Nature Boys“ die Vorläufer der Hippies.

Das Arbeiterinnen-Bewusstsein wuchs

Die Handwerker-Berufe hatten mit ihren Ausbildungen und beruflichen Verbänden eine höhere Sicherheit, organisierten sich in jenen Zeiten, wie aus dem Mittelalter in den Zünften:

Unter Bismarck hatten noch die Sozialisten-Gesetze alle neuen Arbeiter-Selbstorganisationen unter Strafe gestellt und verfolgen lassen, Polizei-Spitzel waren in Betrieben und Gaststätten, zu Veranstaltungen, Versammlungen und Vorträgen dabei.

Die Informationen zu Krieg und Rüstungsgeschäften wurden in anspruchsvollen Zeitschriften durchsichtig, die bürgerliche Presse versuchte, mit den alten Lügen von Adel, Militarismus und Monarchie weiter zu machen.

Die Berufe begannen, sich zu organisieren

Da es objektiv neutrale Berufstreffen entsprechend den früheren Zünften gab, war nicht alles zu untersagen, was beruflicher Fortbildung entsprach, und berufliche Zünfte und Fachgruppen konnten zumindest austauschen, wie die jeweiligen Arbeitsbedingungen, die Qualität der Arbeit und des Handwerks zu gestalten waren.

Chöre und Fußball, Literatur, Radsport, Wandern

waren die reichhaltige Möglichkeit, gemeinsam die knappe Freizeit zu gestalten, mit Vorträgen und Literatur-Austausch angereichert.

Die Ideen der Zeit

Bakunin und die Anarchisten

Wer nicht das unmögliche wagt, wird das mögliche niemals erreichen Bakunin-Grabplakette

Plakette von Daniel Garbade am Grabstein von Bakunin

Michail Bakunin war wohl einer der bekanntesten frühen Europäer, aus dem russischen Adel durch die Bewegungen und Gefängnisse in vielen Ländern, und mit einigen Büchern enorm einflußreich, auch für die russische Revolution.

Erich Mühsam besuchte auch die Bakunin-Hütte in Meiningen, die Arbeitende der Bahn-Ausbesserungswerke dort als Denk- und Freizeit-Ort geschaffen hatten.

Sozialisten von Marx und Engels bis Lasalle,

waren natürlich hauptsächlich den Gebildeten zugänglich, wurden aber in allerlei Zeitschriften so diskutiert, dass auch dabei Meinungen entstanden: Sozialismus war verboten, aber Sozialdemokraten konnten in den Reichstag und die Landtage gewählt werden.

Streit der Ideen: Organisationsformen

Es war noch die große Hoffnung der Partei, die eine Befreiung der Werktätigen bringen sollte, doch bald war die SPD auch in den königlich organisierten ständischen Parlamentarismus erfolgt.

Internationale Friedensbewegungen

kämpften schon lange gegen Aufrüstung, wie sie ja allerorten zu bemerken war, doch stimmte die SPD in der aufgeputschten Kriegs-Stimmung auf für die Kriegskredite, erst ab 1915 spalteten sich mit Karl Liebknecht erste Reichstags-Parlamentarier und 1917 mit der USPD ein ganzer Flügel ab,

Frauenbewegung und Suffragetten

hatten ja noch gar nichts zu sagen, auch kein Wahlrecht: Was besonders gutbürgerliche Frauen verärgern konnte, die zwar Geld, aber keinen politischen Einfluss, keine Stimme hatten.

Lebensreformer und Wandervögel

Kohlrabi-Apostel wurden Leute wie Karl und Gusto Gräser genannt, die am Monte Verita die Ideen von Kommune und Lebensgemeinschaften entwickelten, und gelegentlich auch in München predigten.

Ida Hoffmann hatte die Grundstücke gekauft und wollte mit ihrem Lebensgefährten ein offenes Sanatorium schaffen,

Otto Groß versuchte dort und in Schwabing die Psychoanalyse als revolutionäre Methode anzuwenden, und der Austausch war fließend:

In der Schweiz herrschte die Gedankenfreiheit und die Möglichkeit, sich fernab von den Sozialistengesetzen in den Gedanken zu reiben:

Gustav Landauer hatte auch im berliner Raum viele Kontakte bei Genossenschafts- und Wohnprojekte-Gründungen, Erich Mühsam mit seinem Verlag seine Möglichkeiten, Kurt Eisner als Journalist und Schriftleiter wollte informiert sein, und Frau Reventlow entfloh der münchnerischen Kleinfamilien-Aufsicht:Mary Wigman Briefmarke

Offene Ehe und freie Liebe, Freikörperkultur und Vegetarismus, Gartenbau, neuer Tanz nach Rudolf Laban und von Mary Wigman vorgetragen, irritierte das Münchner Publikum: Feministisches Tanzen erregte die Gemüter!

Dabei war die Nacktheit in öffentlichen Vorstellungen nicht erlaubt, mindestens ein Gaze-Schleier musste vor der Bühne hängen …

Sozialistengesetze & die soziale Frage

wurden auch in den bürgerlichen Kreisen und den Hochschulen diskutiert, und die Schulpflicht war zB eine Errungenschaft auf Vorschlag des Militärs, weil die arbeitenden Kinder in den Bergwerken nicht mehr für den Militärdienst taugten.

Theodor und Philipp Loewenfeld, Philipp …

(hieß auch des Vaters Freund in der Schweiz …)

Recht und Politik in Bayern zwischen Prinzregentenzeit und Nationalsozialismus

Hg. Peter Landau und Rolf Rieß, vorgestellt im Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Philipp Loewenfeld flüchtete im letzten Augenblick nach dem Reichstagsbrand 1933 in die Schweiz, er war einen der wichtigsten politischen Straf-Verteidiger geworden, wie für Ernst Niekisch und Felix Fechenbach und erstritt noch eine Entschädigung für den zertrümmerten Haushalt der Mühsams, gewann auch noch ein letztes Urteil gegen Hitler …

… und war in seinen jüngeren Jahren im Vorstand einer sozialpolitischen Gesellschaft, bei deren Vortrag mit Jujo Brentano auch der spätere König Ludwig III zu Gast war und dort die erste Studentin seines Lebens sah …
Der Vater Theodor Loewenfeld war an den Folgen des Hungers im Winter 1918/19 gestorben, bevor ihn Kurt Eisner um die Mitarbeit an der neuen Verfassung bitten konnte. das übernahm dann Philipp.

Der Ziegelbrenner

aus der Clemensstraße lag etwas quer zu diesem Geschehen auf der anderen Seite der Auseinandersetzungen: Während Philipp Loewenfeld zum Palament der Mehrheits-Sozialdemokratie nach Bamberg fuhr, hatte Ret Marut, der spätere B.Traven in seiner Zeitschrift schon gefordert, die Räte gegen einen Wieder-Aufbau als Neu-Aufbau anzusehen … Internationale B.Traven-Gesellschaft

Empfehlung in der Landeszentrale für politische Bildung: recht-und-politik

Vom grundlegend wirkenden Titel nicht abschrecken lassen:

Die Erinnerungen von Philipp Loewenfeld, Verfasser der ersten Verfassung des Freistaat Bayern im Auftrag Kurt Eisners, in gut 700 Seiten mit Kommentaren und weiteren Quellen versehen, lesen sich hervorragend und geben einen anschaulichen Blick auf das Leben des jüdischen Rechtsanwaltes und Honorarprofessor für Recht, der sich in der vor-Revolutionszeit schon zu sozialwissenschaftlichen Fragen organisierte.

Seine oft beißenden Beschreibungen, auch mitten aus dem politischen Geschehen, und seine bitteren Erwägungen, 1912 mit 25 Jahren der SPD beizutreten, klingen absolut aktuell, er kann die Rolle und Sicht der Sozialdemokratie in jenen und heutigen Jahren reflektieren helfen …

Recht und Politik in Bayern zwischen Prinzregentenzeit und Nationalsozialismus
Artikel-Nr.: 05300534  – kostet 8,00 €

Im Bestellportal finden Sie alle Publikationen der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, die Räume sind jetzt auf der Praterinsel 2. Siehe auch www.raete-muenchen.de und fairmuenchen.de/philipp-loewenfeld/