Die Massaker deutscher Soldaten in mehr als zweihundert griechischen Dörfern, deren Bevölkerung während der NS-Besatzung pogromartige Übergriffe zu erleiden hatte, sollen ungesühnt bleiben. Dies beantragte der EU-Generalanwalt am diesjährigen Jahrestag der Novemberpogrome (9. November) und widersprach jetzt einem Klagebegehren der griechischen Opfernachkommen vor dem Europäischen Gerichtshof.

Die Kläger verlangen, von der Bundesrepublik Deutschland für den Mord an 679 männlichen Einwohnern des Dorfes Kalavryta (Peloponnes) entschädigt zu werden. Das Verbrechen wurde am 13. Dezember 1943 von Einheiten der 117. Jägerdivision begangen. Die Bundesrepublik Deutschland beansprucht, Rechtsnachfolgerin jener staatlichen Insitutionen zu sein, die den Mord befehligten.

Die Zurückweisung des Sühneverlangens durch den EU-Generalanwalt folgt den Ausflüchten der Berliner Regierung, die sich – wie sämtliche ihrer Vorgänger – von Forderungen der Opfernachkommen nicht tangiert sieht. Demnach wurden die Massaker und Pogrome in einem hoheitlichen Akt des Deutschen Reiches begangen und seien gegenüber Zivilpersonen, also den eigentlich Betroffenen, entschädigungsfrei.

Lediglich der griechische Staat könne einen etwaigen Regress anmelden. Wie Berlin weiß und in ungleichen Verhandlungen zwischen den Sozialdemokraten Schröder/Simitis erreichte, wird Athen keine Entschädigungen fordern.[1] Griechenland ist ökonomisch wie politisch vom Wohlwollen des vereinigten Deutschgland abhängig.

Gegenseitiges Einvernehmen

In einer ersten Stellungnahme deutscher Förderer der Opfernachkommen heißt es, der Generalanwalt habe sich „mit wesentlichen Argumenten der Klägerseite gar nicht befasst. Die Frage, ob ein Staat wie Nazi-Deutschland noch im Nachhinein von jeglicher Haftung für seine Verbrechen freigestellt werden darf, hat er nicht beantwortet.“[2]

Internationale Beobachter erwarten, dass die Klage im Frühjahr 2007 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgewiesen wird. Die Richter des EuGH werden von den EU-Mitgliedsstaaten nach Luxemburg entsandt, den Anträgen der Generalanwälte wird „in den meisten Fällen“ stattgegeben, schreibt das Auswärtige Amt (AA) zutreffend.[3] Über die angebliche Unabhängigkeit des Gerichtspersonals heißt es beim AA, „Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt.“

Nicht nachweisbar
Auch die Massaker und Pogrome, die an mehreren Tausend Italienern begangen wurden, können nach offizieller Rechtsauffassung in der Bundesrepublik Deutschland keine Sühne erfahren. Leugnet Berlin im Fall der griechischen Kläger deren Rechtsfähigkeit, so im Fall mehrerer deutscher Täter die fortwirkende Sühnepflicht der Totschläger. Im September 1943 waren sie an der Erschießung italienischer Kriegsgefangener auf der ionischen Insel Kephallonia beteiligt.

Die italienischen Soldaten hatten den NS-Truppen ihre Waffen abgeliefert und wurden anschließend zu Tausenden umgebracht.[4] Einen der Tatbeteiligten, den damaligen Gewehrschützen Otmar Mühlhauser, setzte die Staatsanwaltschaft München I im Oktober außer Strafverfolgung – wegen „menschlicher Schwäche“ [5] und angeblich nicht nachweisbarer niedriger Beweggründe.

Schändungen

Der verantwortliche Staatsanwalt scheine „kein historisches Bewusstsein zu besitzen“, sagt der Anwalt der Nebenklägerin im Gespräch mit dieser Redaktion. „Für mich ist er ein typischer Vertreter des Rechtspositivismus. Er hat offensichtlich nicht verstanden, dass es Deutschland war, das mit dem von Berlin begonnenen Zweiten Weltkrieg eine unrechtmäßige Handlung beging, gegen die jeder Widerstand gerechtfertigt, mithin rechtmäßig war.“[6]

Das Massaker an den italienischen Soldaten wurde nach Zeugenaussagen von pogromartigen Übergriffen begleitet. Dabei soll es zu Leichenschändungen, Plünderungen und typischen Brutalitäten im Schatten vollendeter Kriegsverbrechen gekommen sein.

Abgeschlossen

Die in der Bundesrepublik gängige Abwehr von Sühne und eine nur immaterielle, unverbindlich-moralische Täterverdammnis münden in Amnesie – und widerwillige Akte abstrakter Ehrbezeugungen für die Opfer, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Erinnerung stößt auf Widerstand, sobald sie sich konkreten Schicksalen nähert und zu den institutionellen Erben der Täter führt. Dies erleben in diesen Tagen die deutschen Initiativen „Elftausend Kinder“ und die französische Organisation „Fils et Filles des Déportés Juifs de France“ (FFDJF).

Nach zweijährigen Kundgebungen, Demonstrationen und Regelverletzungen auf den Bahnhöfen, die zu Orten des Gedenkens und der Erinnerung an die Deportierten werden sollen, reagiert das offizielle Berlin zunehmend verstört. Man schließe sich den Forderungen an, heißt es inzwischen bei fast allen Bundestagsparteien – im Prinzip.[7] Umstritten bleiben Unmittelbarkeit und Konkretion des Gedenkens. Mit immer neuen Vorschlägen wird versucht, die Ausstellung über deportierte Kinder dem allgemeinen Reisepublikum zu entziehen, indem Fotos und Dokumente mal in beengten Reichsbahn-Waggons, mal in entfernteren Nebenräumen abgeschlossen werden sollen.

Hunting Season

Für Sühne, Täterverdammnis und die Ehrung der Opfer demonstrierten in den vergangenen Tagen Initiativen in über 20 Städten – darunter in Berlin und Apolda). Durch Apolda fuhren die Reichsbahn-Züge mit Tausenden Kindern in Richtung Auschwitz. Wie der Zuglaufplan des Transports „DA-901“ kundtut [8], standen die Waggons über eine Stunde auf den Gleisen der thüringischen Kleinstadt, bevor sie ihre Todesreise nach Naumburg (Saale) und Weißenfels fortsetzten.

Als die Weimarer Mitglieder der Initiative „Elftausend Kinder“ am 9. November per Zug in Apolda eintrafen, wurden sie auf dem Bahnhof von „Hakenkreuzen (…) und eine(r) Gruppe von 15-20 jungen Rechtsradikalen empfangen, die zweifach versuchten, die Gedenk- und Erinnerungsveranstaltung (…) zu stören und nur durch die ca. 50 Teilnehmer und die Polizei zurückgehalten werden konnten“, heißt es in einem Teilnehmerbericht für german-foreign-policy.com.

Das aus Apolda übermittelte Foto zeigt eine Hauswand mit Hakenkreuzen und dem Spruch „09.11.06 Antifa Huntig Season“. Auf der rechten Seite ist eine Kofferinstallation zu erkennen. Die Aufschriften erinnern an die Orte der deutschen Massenmorde – Apolda 2006.

Bilder und Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56606

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