Das Arbeiterarchiv schickt grade eine Einladung zur weiteren Beschäftigung mit Georg von Vollmar, die uns Dr. Robert Hofmann dankenswerterweise geben wird:
Ebenböckstr. 11
81241 München
Tel/Fax: 089/834 46 83
www.arbeiterarchiv.de
Als Vorbereitungs-Lektüre zu jenen Zeiten: (Auszug unten)
www.schattenblick.net/infopool/medien/altern/arbei189
Arbeiterstimme Nr. 162 – Winter 2009
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!
Novemberrevolution in München
Vor 90 Jahren brach die Monarchie in Bayern widerstandslos zusammen. Arbeiter und (teilweise) Bauern griffen nach der Staatsmacht. Adel und Bürgertum, unter dem Schock des verlorenen 1. Weltkriegs, vermochten zunächst nicht dem etwas entgegenzusetzen.
Eine große Zahl von Veranstaltungen erinnerte im Herbst dieses Jahres in München an die Revolution in Bayern und vor allem in München. Auch unsere Gruppe beteiligte sich als Mitveranstalterin an 3 Diskussionsveranstaltungen im Münchner Westend.
Warum? Haben wir nichts Besseres zu tun als längst vergangene Ereignisse wieder aufzuwärmen?
Es gibt einige Gründe dafür. Zum einen scheint es uns notwendig daran zu erinnern, daß der Freistaat Bayern, die Trennung von Schule und Kirche, das Frauenwahlrecht keine Erfindungen der CSU sind, wie viele konservative Medien, bis in die Schulen hinein, den Anschein erwecken wollen. Erstmals spielten auch Frauen (nicht nur Linke) eine politische Rolle. Diese Entwicklungen wurden erkämpft und die Rolle der rechten und reaktionären Kräfte bestand darin, dies vergessen zu machen und die positiven Ansätze soweit möglich zurückzunehmen.
„Landfremde“ Gesellen (deutlich antisemitische Untertöne sind nicht zu überhören) hätten dem braven Bayernvolk die Revolution aufgedrückt. Die konservativen Kräfte und die Männer, die sie anführten (nicht nur Franz Josef Strauß ist gemeint) mußten und müssen die „Werte“ des christlichen Abendlandes retten.
Allein das bedarf der Richtigstellung soweit es unsere schwachen Kräfte erlauben.
Weitere Gründe für unsere Aktivitäten sind interessante Besonderheiten der Münchner Revolution. Das ist zum einen die bedeutende Rolle von Anarchisten bzw. so genannten „freiheitlichen Sozialisten“ und zum anderen die Beteiligung fortschrittlicher Bauern.
Aus Platzgründen müssen die Referate zusammengefaßt werden. Der Zusammenfasser bekennt, daß er trotz aller Mühe vielleicht auch subjektive Eindrücke nicht ganz unterdrücken konnte und bittet die Referenten um Nachsicht.
Es war das Bündnis der rechten Sozialdemokratie (MSPD) mit reaktionären Kräften der Bourgeoisie und des Militärs (Freikorps), das letztlich zum Scheitern der deutschen und auch der bayrischen Revolution führte.
Anarchistinnen und Anarchisten vor und in der Münchner Revolution
Der Referent Günther Gerstenberg begann mit einer ausführlichen Darstellung der elenden Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse an Beispielen aus dem Münchner Westend: „Die Arbeiter sterben durchschnittlich zwölf Jahre früher als die Bürger. Im Maschinensaal von Metzeler sind 23% der Arbeiter verstümmelt, 24% haben die Schwindsucht.“(*)
(*) Alle Zitate wurden den Manuskripten der Referenten entnommen
Erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand auf der „Sendlinger Heide“ das Westend. „Terraingesellschaften“ kauften das wenig fruchtbare Land billig und verkauften es teuer an Bauherren. Die Mieten waren kaum aufzubringen: „Die Arbeiterinnen und Arbeiter schuften 10, 12 und noch mehr Stunden am Tag, unterwerfen sich der Fabrikdisziplin und kommen kaum über die Runden. Frauen erhalten 1897 bis zu 80 Pfennig täglich, Arbeiter bis zu 1 Mark 50.“ Arbeitslosigkeit führt zu Mietrückständen und Zwangsräumungen. Widerstandsversuche, sogenannte Krawalle, werden von berittener Polizei mit blankem Säbel niedergeworfen.
Wer sich nicht abfinden will und wer von der kirchlichen Bigotterie abgestoßen ist, organisiert sich in Lese- und Sparvereinen, in Genossenschaften und Gewerkschaften. Tschechische und italienische Arbeiter bringen fortschrittliche Traditionen aus ihren Heimatländern mit. „Es kommt vor und in den Fabriken zu heftigen Auseinandersetzungen, zu Sabotage und Streiks.“ Anarchistische Vorstellungen in der Tradition der Aufklärung und der Säkularisation stehen gegen religiöse Orientierung. „Der lesende Arbeiter erkennt: Letztlich kann nur das Individuum vor sich selbst bestehen.“ Die rigorose Organisationsdisziplin der bayrischen SPD unter Georg v. Vollmar kann (und will?) solche Lebenseinstellungen nicht dulden. „Die Folge war, daß die SPD nicht nur einzelne aufmüpfige Querköpfe aus der Partei warf, sondern ganze Vereine ausschloß. Nicht wenige dieser Ausgeschlossenen sammelten sich im Freidenkerverband. In den Quellen werden diese sowohl als ‚freiheitliche Sozialisten‘, als Freidenker, als Anarchisten oder auch nach 1900 als Syndikalisten bezeichnet.“
„Wichtig erscheint mir, daß der Anteil der ehemaligen Sozialdemokraten an der anarchistischen Bewegung sehr groß ist. Es waren diejenigen, die erkannt hatten, daß man die richtigen Ziele nicht mit den falschen Mitteln erreichen kann. Sie hatten selbst erfahren, daß die Organisationsstruktur der SPD ein Abbild des personalpolitischen Stützpfeilersystems des Staates war, wo ein innerer Zirkel die Macht auf sich vereinigt, und daß, wer in den inneren Zirkel vorstoßen wollte, sich anpassen mußte an die Choreographie des Denkens, Fühlens und Handelns der Mächtigen.“
Die in den Geschichtsbüchern noch häufig beschworene Kriegsbegeisterung im August 1914 war auch in München mehr Ideologie als Tatsache. „Weinende, verzweifelte Arbeitermütter am Münchner Hauptbahnhof. Großeltern, die sich noch an den 70er/71er Krieg erinnern und ihre Enkel warnen. Junge Männer, die vor dem Gestellungsbefehl fliehen.“
Derartiges findet sich in den Münchner Archiven.
Am 7. November 1918 sammeln sich rund 50.000 Menschen auf der Theresienwiese zu einer Kundgebung gegen den Krieg. MSPD, USPD und Gewerkschaften haben dazu aufgerufen. Die Mehrheit zieht mit dem Nachfolger Georg v. Vollmars, Erhard Auer, friedlich zum Friedensengel. Etwa 1000 folgen Kurt Eisner von der USPD durch das Westend zur Guldeinkaserne. Die Soldaten schließen sich der Revolution an. Vom Westend aus zieht Eisner zu den Kasernen im Münchner Norden. Ohne Blut vergießen gehen die Soldaten mit. Der Anarchist Erich Mühsam zieht mit seiner Frau Zenzl und einigen Anhängern in die Maxvorstadt vor die Kaserne des königlichen Leibregiments. Er fordert die Abdankung der Wittelsbacher und läßt die „Bayerische soziale Volksrepublik“ hochleben. Die „Leiber“ schließen sich an. Von dort geht es zu anderen Kasernen am Oberwiesenfeld. Hier kommt es vereinzelt zu Schüssen. Es gibt aber keine Toten.
In der offiziellen Geschichtsschreibung wird die Rolle der Anarchisten beim Sturz der Monarchie und der Gründung der Republik diskret verschwiegen.
Eisner ruft am Abend des 7. November im Mathäser Bierkeller den Freistaat aus. Er bildet ein Kabinett, dem auch Vertreter der MSPD, vor allem Erhard Auer als Innenminister angehören. Daneben bildet sich ein revolutionärer Arbeiterrat, der die Anarchisten Mühsam und Landauer kooptiert. Daraus entsteht der Landesarbeiterrat und ein Zentralrat. Die Anarchisten, vor allem Mühsam, kritisieren die Zusammenarbeit mit der MSPD, die über die bürokratischen Mittel verfügt und diese einsetzt, um fortschrittliche Ansätze ins Leere laufen zu lassen. Natürlich kommt es zu Reibungen zwischen Kabinett und Räten. Mühsam z.B. besetzt mit seinen Anhängern die Redaktionen bürgerlicher Zeitungen. Eisner hebt die Besetzung auf und läßt Mühsam vorübergehend festnehmen.
Eisners Vorstellung einer Synthese aus parlamentarischer und Rätedemokratie bekommt keine Chance in der Praxis. Bei den Landtagswahlen am 12.1.1919 erleidet Eisners USPD eine vernichtende Niederlage. Sie bekommt nur 2,5 % der Stimmen. Stärkste Fraktionen werden Bayrische Volkspartei und MSPD.
Eisner will als Ministerpräsident zurücktreten. Auf dem Weg zum Landtag wird er von dem Offizier Graf Arco Valley, Mitglied der reaktionären völkischen Thule Gesellschaft, erschossen.
Die bürgerliche Reaktion formiert sich. Die Landtagsparteien MSPD, USPD und bürgerliche Listen schließen am 8.3.1919 den Nürnberger Kompromiß. Er sieht im wesentlichen die Stärkung des Landtags und der von diesem gewählten Regierung Hofmann (MSPD) vor. Der Rätekongreß, dem auch viele MSPD-Mitglieder angehören, stimmt mehrheitlich zu.
Noch einmal scheint die revolutionäre Seite die Oberhand zu gewinnen. Am 7.4.1919 ruft der Rätekongreß die Räterepublik aus. Die Münchner Arbeiter und Soldaten schließen sich an. Die großen Industriestädte Bayerns, Nürnberg und Augsburg, gehorchen weiter der Regierung Hoffmann. Eugen Leviné, KPD, analysiert treffend, daß die Räterepublik unter diesen Umständen keine Chance hat und lehnt eine Beteiligung der KPD ab.
Die Regierung Hoffmann sammelt mit Unterstützung der Reichsregierung, d.h. Noskes, Freikorps zur militärischen Niederschlagung der Räterepublik. Das war schon seit spätestens Januar 1919 vorbereitet worden.
Am 13.4.1919 erfolgt ein Putsch in München. Freikorps und reaktionäre Studenten besetzen den Hauptbahnhof und strategische Stellungen in der Stadt. Doch die Rote Armee verjagt die Putschisten und erobert nach heftigen Kämpfen auch den Hauptbahnhof zurück.
Die KPD schließt sich jetzt der Räteregierung an und übernimmt die wichtigsten Funktionen. Leviné hält die Sache zwar für verloren, meint aber die Kommunisten dürfen die Arbeiterklasse in der Niederlage nicht im Stich lassen.
In Oberbayern formieren sich das Freikorps Oberland und andere Formationen. Die Bauern strömen ihnen zu. Zumindest eine der Ursachen dafür ist die Hetze der katholischen Kirche: In München würden Priester ermordet, Nonnen vergewaltigt usw. Nichts davon war die Wahrheit.
Die Übermacht der „Weißen“ erobert am 1. und 2. Mai 1919 München zurück.
Die folgenden Massaker fordern mindestens 1000 Todesopfer. Später werden Anhänger der Räterepublik auch in die Psychiatrie eingeliefert. Wer für die Roten ist, muß ja verrückt sein.
Bayern wird zur „Ordnungszelle des Reiches“ Unter dem Schutz dieser Ordnung formieren sich die Nationalsozialisten.
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