Leben zerstören – Reichtümer auftürmen. Deutschland führt Krieg

Rede zum Gedenktag der Ermordung Kurt Eisners, 21.2.2023 von Klaus Weber

I

Liebe Friedensfreund_innen, liebe Antimilitarist_innen,

wir haben uns hier versammelt, weil am 21. Februar 1919 Kurt Eisner, Sozialist und bayerischer Ministerpräsident, ermordet wurde. Und wir sind heute hier, weil wir dagegen protestieren, dass Deutschland wieder Krieg führt. Seit etwas mehr als 100 Jahren ist es der vierte Krieg, den dieses Land führt.

Beim ersten Mal wurde das zaristische Russland zum „barbarischen“ Feind erkoren; dann wurde ein Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetuni­on geführt (die ukrainische und alle anderen Sowjetrepubliken inbegrif­fen); 1999 wurde im Rahmen einer völkerrechtswidrigen Aktion ein Groß­teil des zivilen Serbiens gemeinsam mit der NATO zerbombt. Das war die wirkli­che „Zeitenwende“, von der unser Kanzler Scholz (SPD) meint, sie sei mit der russischen, imperialistisch grundierten Invasion in die Ukraine vor ei­nem Jahr über uns gekommen

II

Wie vor 23 Jahren haben wir es heute mit grünen und sozialdemokrati­schen Kriegstreiber_innen zu tun (gestützt von FDP, CSU und CDU). Die Rüstungsindustrie jubelt über die mehr als 300 Milliarden Staatszu­schuss für ihr Mord-Geschäft, während „Bürgergeld“-Empfänger_innen nur noch hungernd und frierend über den Winter kommen. Wir stehe hier, weil wir wissen, dass in allen Kriegen vor allem die Arbeiter_innen, die sogenannten einfachen Leute bluten und leiden müssen – auf den Schlachtfeldern und im Hinterland. Die kriegsgeilen Baerbocks, Hofreiters, Merz’ und Strack-Zimmermanns sitzen in ihren warmen Berliner Büros, in ihren Ministerien, und lassen Mordmaschinen, Mordgerät liefern – dorthin, wo ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Freund_innen nicht getroffen werden; noch nicht.

III

Was, liebe Freund_innen, was hätte Kurt Eisner zu diesem Krieg gesagt und geschrieben? Hätte er – wie Karl Liebknecht (in seinem berühmten Flugblatt vom Mai 1915[1]) gewarnt vor einem „chauvinistischen Taumel“, den die deutsche Regierung und ihre Helfershelfer in den Medien entfa­chen? Hätte er dazu aufgerufen, „den Feind im eigenen Land … zu be­kämpfen“? Ja, Kurt Eisner würde heute an unserer Seite gegen diesen Krieg und gegen die Aufrüstung der Ukraine durch die NATO demons­trieren.

Krieg ist für Kurt Eisner, so schreibt er in seinen Tagebüchern, ein Vor­gang auf „kapitalistischem Kredit“: „Das heißt: Arbeit, Güter, Leben zer­stören; für Einzelne Gebirge von Reichtümern auftürmen. Für die Völker aber Siechtum, Verkrüppelung und Tod. Lässt sich überhaupt ein System der menschlichen Ordnung denken, das derart wider alle Vernunft und Zweckmäßigkeit ist?[2]

IV

Liebe Freund_innen, die Presse in Deutschland arbeitet nach dem allseits bekannten Motto: „Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit“. Das war im Ersten Weltkrieg so, im Zweiten; das war so im NATO-Krieg 1999, als Rudolf Scharpings erfundene Greuelgeschichte ohne journalistische Recherchen als „wahre Begebenheiten“ abgedruckt wurden – und das ist heute so. „Ohne diese Presse wäre diese Abstumpfung des deutschen Geistes nicht möglich gewesen[3]“, schrieb Eisner im Dezember 1918 rückblickend zur Funktion der bürgerlichen deutschsprachigen Zeitungslandschaft.

V

Doch auch über uns, die „Verrückten“, welche noch immer an ein friedli­ches Zusammenleben aller Menschen glauben, hat er einen kurzen Text verfasst: Es gebe „Sonderlinge, die dem Kriegswahn trotzen, so hört man, [und sie seien] verrückt. Abgesehen davon, dass es mir recht barbarisch er­scheint, Menschen, die geisteskrank sind, ihr Leiden ins Gesicht zu schrei­en und sie obendrein wegen ihrer Erkrankung noch zu beschimpfen; in welchem fürchterlichen Wahnsinn ist zu dieser Zeit die gesunde Menschheit befangen, dass man toll sein muss, um zu wagen auszuspre­chen, was man denkt[4]“.

Liebe „geisteskranke“ Freund_innen, wir sind so ver-rückt, weil wir Hitler verstehen, Putin verstehen, ja, auch die Logik der westlichen imperialisti­schen Staaten unter Führung der USA verstehen wollen. Slebst – und es ist keine leichte Übung – den Weg einer ehemals pazifistischen Partei und ihrer Repräsentanten hinzu einer Partei von Kriegshetzer_innen, welche die Deutschen vor „Kriegsmüdigkeit“ warnen, wollen und müssen wir ver­stehen.

VI

Doch der Verstand ist das eine. Viel wichtiger ist unsere Phantasie; denn das ist es, was den Herrschenden fehlt. Günther Anders, der renitente Philosoph, hat es auf den Punkt gebracht. Was einmal geschehen ist kann auch „ein zweites Mal und sogar mit weniger Hemmung geschehen[5]“; und was die Menschen dazu bringt, Krieg und Faschismus als Denkmöglichkei­ten in Betracht zu ziehen, ist nicht ihr Verstand – es ist ihre Phantasielo­sigkeit. Sie können sich nicht vorstellen, ja, sie sind geradezu unfähig dazu, sich auszudenken, was die Folgen ihres Tuns sind – den Weg zum Dritten Weltkrieg zu bahnen.

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Liebe Freund_innen, Ich wollte am Schluss etwas Hoffnungsvolles sagen – jedoch ich habe keine Hoffnung. Ich bin nur zornig. Aber dass ihr hier seid und dass wir gemein­sam am Todestag Kurt Eisners zusammenfinden – das macht zumindest Mut und gibt mir Kraft weiterzumachen.

[1]     Zitiert nach der Liebknecht-Biographie von Annelies Laschitza (2007), Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie. Berlin: Aufbau Verlag, S.273).

[2]     Kurt Eisner (1929). Der Zusammenbruch! In: Welt werde froh! Ein Kurt-Eisner-Buch. Berlin: Büchergilde. S.192.

[3]     Kurt Eisner (2016). Gefängnistagebuch. Kurt-Eisner-Studien Bd.1. Berlin: Metropol Verlag, S.11.

[4]     Kurt Eisner (1919). Aus Tagheften 1914-1918. In: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. I. Berlin: Paul Cassirer, S.190.

[5]     Günter Anders (1987). Gegen ein neues und endgültiges Nagasaki. In: Elke Schubert (Hg.), Günther Anders antwortet. Interviews und Erklärungen. Berlin: Edition Tiamat. S.170.

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